Was bedeutet Heimat? | Heimat fühlen und den eigenen Kindern mitgeben

19. September 2018
Heimat. Ein Thema, das so wie viele, die Gemüter erhitzt. Ein Thema, über das ich gerne und viel diskutiere und alle Aspekte durchleuchte. Erst vor ein paar Tagen wurde ich im Social Media angegriffen, dass es doch wirklich traurig sei, dass ich nie aus meinem Dorf raus gekommen bin. Ich kenne beide Seiten: Freunde und Familienmitglieder, die für eine Ausbildung oder ein Studium eine gewisse Zeit in einer anderer, meist Großstadt, lebten. Andere Personen, die noch nie außerhalb unserer Heimat gewohnt haben und wiederrum andere, die unserer Stadt komplett den Rücken gekehrt haben. Weshalb ich mir für meine Kinder auch so ein Heimatgefühl wünsche? Lest selbst.

Liebe auf den zweiten Blick

Als Kind nimmt man Heimat anders wahr. Man kennt es nicht anders und man fühlt sich meistens wohl. Mein Bild von meinem Geburtstort hat sich erst in der Pubertät verschoben. Die Auswahl an Ausgehmöglichkeiten war beschränkt und tolle Shoppingerlebnisse waren unmöglich umzusetzen. Jedesmal musste man sich für einen ganz normalen Shoppingtrip eine dreiviertel Stunde in den Zug setzen und nicht mehr als drei-vier Kneipen und zwei Discos nannte unsere Stadt ihr Eigen. Es gab einfach nichts. So kam es mir vor, obwohl die Realität ein wenig anders aussah. Im Abitur philosophierten wir darüber wo es für uns hingehen könnte. Bloß weit weg, in eine Großstadt. Ich will feiern und shoppen. Ich wollte dort sein wo das Leben pulsiert.

Meine Zeit in einer Großstadt kam und ich begann alles mit anderen Augen zu sehen. Hektik, ununterbrochener Konsum, unzählige Möglichgkeiten feiern zu gehen. Zuerst kam es mir wie in einem Paradies vor. Man hatte Spaß, man hat neue enge Freundschaften geknüpft, man konnte überall dabei sein. Nach fast zwei Jahren habe ich mich wieder für meine Heimat entschieden. Eine meiner allerbesten Entscheidungen.

Keinerlei Abstriche

Nun fragen sich alle: Weshalb bist Du zurück gegangen? Ich habe eins vermisst: Die Ruhe. Für mich wurde meine Heimat zu einem Ruhepol. Es war wie Urlaub, wenn ich dort zu Besuch war und diesen Zustand wollte ich permanent spüren. Er sollte niemals enden. Wir werden nicht jünger und irgendwann wollte ich eben nicht mehr den Abend angeschwipst in einer Disco verbringen, in der ich niemanden kenne. Ich wollte in eine Disco oder in eine Kneipe gehen und jeden kennen. Ich wollte mich unterhalten und mich nicht hinter meiner Anoynimität verstecken. Ich brauche keine unzähligen Shopping Straßen, wenn ich alles was man Herz begehrt problemlos im Netz zu jeder Uhrzeit bekommen kann. Mit dem Rückzug ist mir aufgefallen, dass ich alles hatte, bloß nicht im Überfluss.

Sollte es jedoch zu einem Konzert oder einer kulturellen Veranstaltung gehen ist es kein Problem sich in sein Auto zu setzen. Manchmal dauert dies nicht mal länger als wenn man von einer Großtstadt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von einem bis zum anderen Ende zu fahren.

Kindern Heimat vermitteln

Oftmals kam es mir gerade bei Bekannten und Freunden so vor, als ob sie schlechte Erfahrungen auf unsere Heimat projizierten. Das höchste der Gefühle waren Besuche zu Familiengeburtstagen und zu Weihnachten. Es gibt leider keine Verbundenheit und es wird versucht eine neue Identität zu kirieren. Ich bin ich geblieben, genauso wie viele Freunde und Bekannte immer noch sie selbst sind. Viele der verschollenen Personen kamen nach einer gewissen Zeit wieder zurück in die Heimat und immer öfter höre ich den Satz „Sobald es ernst mit Hauskauf und Kindern wird, kommen wir eindeutig zurück“.
Genau dieses Gefühl, diese Wärme, wenn man an seine Heimat denkt, wünsche ich meinen Kindern. Sie sollen jede Straße kennen und sie mit wundervollen Erinnerungen füllen. Natürlich kann nicht alles erlebte positiv sein und das muss es auch gar nicht. Sie sollen auch schlechte Erinnerungen reflektieren können und auch diese aufsaugen. Sie sollen ihr zu Hause als Ruhepol wahrnehmen und uns nah sein wollen. Für viele hört sich das Wort verplichten negativ an, jedoch verbinde ich mit dem Wort eine gewisse Nähe, die man mit keinem anderen Teilen kann. Ich fühle mich im positiven Sinn verpflichtet da zu sein. Menschen nah zu sein, die mich lieben und die ich liebe. Für mich eins der stärksten und unglaublichsten Gefühle, die man haben kann.
Sein Kind im selben Krankehaus zu bekommen, in dem man geboren ist, sein Kind in den selben Straßen spielen zu sehen wie man es selbst früher getan hat, es in den selben Schulen begleiten zu dürfen, Kastanien vom selben Baum zu pflücken und im selben Schwimmbad schwimmen zu gehen. Wurzeln zu geben um dann frei zu entscheiden und dann wieder von ganz alleine zurück zu kommen. Heimat lässt sich nicht nur Kleinstädte münzen, denn Heimat ist für jeden ein anderer Ort. Auch eine Großstadt ist Heimat und ist ein Rückzugsort für dort Lebende.

Weshalb ich meine Heimat liebe

Wir lieben es zu Reisen. Mein Mann und unsere gemeinsamen Kinder haben schon einige Orte in und außerhalb Europas kennengelernt. Doch eins fällt uns immer wieder auf: Wir sind schwer zu begeistern. Es ist eigentlich fast unmöglich, dass wir von einem Ort verzaubert sind. Lange Zeit dachte ich, dass es an mir liegt. Ich habe kein Auge für etwas oder bin einfach ein schwieriger Mensch. Denn wirklich jedesmal wenn mir von Bekannten und Freunden besondere Städte und Orte empfohlen wurden, war ich enttäuscht.

Irgendwann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wie soll mich etwas begeistern, wenn ich wirklich an einem der schönsten Orte wohne – In Goslar am Harz. Zugegeben, wir haben keine atemberaubenden Berge wie in den Alpen und auch kein glasklares türkises Meer wie in der Karibik, aber die wirklich bei weitem schönste Altstadt, die ich jemals gesehen habe. Aus dem Grund interessieren mich meist die Altstadt und die Innenstadt kaum, da es fast unmöglich ist mich zu beeindrucken. Leider wird man blind und sieht die Schönheit nicht mehr, da man mit ihr aufgewachsen ist. Die schönen Gassen, das besondere Fachwerk und der Zauber wird kaum wahrgenommen.

Heimat ist Liebe

Ich fühle mich in keinem Punkt meines Lebens eingeschränkt in meinem Geburtsort zu leben. Es erfüllt mich sogar ein wenig mit Stolz, dass meine Kinder in der selben Stadt geboren sind wie ihre Eltern, ihre Großeltern und ihre Urgroßeltern. In seiner Heimat zu leben heißt nicht, dass man ein Kleingeist ist, welcher nichts von der Welt gesehen hat und zurückgezogen lebt. Es bedeutet für mich mit sich im Reinen zu sein, nicht auf der der ständigen Jagd nach etwas Neuen oder einem Bild von sich selbst zu sein. Sich eine neue Heimat zu kreieren, da man keinerlei Bezug zu seinem zu Hause hat. Heimat ist für mich nicht nur der Ort wo meine geliebten Menschen sind, sondern der Ort, an den ich den Großteil meines Lebens verbracht habe.

Ein wichtiger Punkt ist auch der Wandel unserer Städte. Wie soll die Zukunft aussehen? Sollen in etlichen Jahren alle Menschen nur noch in den fancy Städten leben, damit man ein jugendlicher und hipper Mensch ist? Wunderschönste Städte verfallen und es wird sich über die zu hohen Mieten in Wunschstädten echauffiert. Natürlich kann kein Meeresbiologe im Harz wohnen, aber ein Großteil der Jobs kann man auch in seiner Heimat ausüben, wenn man es denn will. Manchmal führt einen auch die Liebe weg aus der Heimat – denn meist findet man die Liebe seines Lebens nicht im Geburtsort. Dann gibt es meist einen Part, der leider sein zu Hause aufgeben muss. Für mich wäre es eine extreme Entscheidung gewesen – Wie es bei mir ausgegangen wäre, musste ich zum Glück niemals in Erfahrung bringen.

Für mich könnte es keinen Arbeitsplatz und vermeidliche Freiheit in einer anderen Stadt geben, die mir näher am Herzen liegt als Erinnerungen, geliebte Personen und den Ort, der mich zu der Person gemacht hat, die ich heute bin.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

|