Als Kind nimmt man Heimat anders wahr. Man kennt es nicht anders und man fühlt sich meistens wohl. Mein Bild von meinem Geburtstort hat sich erst in der Pubertät verschoben. Die Auswahl an Ausgehmöglichkeiten war beschränkt und tolle Shoppingerlebnisse waren unmöglich umzusetzen. Jedesmal musste man sich für einen ganz normalen Shoppingtrip eine dreiviertel Stunde in den Zug setzen und nicht mehr als drei-vier Kneipen und zwei Discos nannte unsere Stadt ihr Eigen. Es gab einfach nichts. So kam es mir vor, obwohl die Realität ein wenig anders aussah. Im Abitur philosophierten wir darüber wo es für uns hingehen könnte. Bloß weit weg, in eine Großstadt. Ich will feiern und shoppen. Ich wollte dort sein wo das Leben pulsiert.
Meine Zeit in einer Großstadt kam und ich begann alles mit anderen Augen zu sehen. Hektik, ununterbrochener Konsum, unzählige Möglichgkeiten feiern zu gehen. Zuerst kam es mir wie in einem Paradies vor. Man hatte Spaß, man hat neue enge Freundschaften geknüpft, man konnte überall dabei sein. Nach fast zwei Jahren habe ich mich wieder für meine Heimat entschieden. Eine meiner allerbesten Entscheidungen.
Nun fragen sich alle: Weshalb bist Du zurück gegangen? Ich habe eins vermisst: Die Ruhe. Für mich wurde meine Heimat zu einem Ruhepol. Es war wie Urlaub, wenn ich dort zu Besuch war und diesen Zustand wollte ich permanent spüren. Er sollte niemals enden. Wir werden nicht jünger und irgendwann wollte ich eben nicht mehr den Abend angeschwipst in einer Disco verbringen, in der ich niemanden kenne. Ich wollte in eine Disco oder in eine Kneipe gehen und jeden kennen. Ich wollte mich unterhalten und mich nicht hinter meiner Anoynimität verstecken. Ich brauche keine unzähligen Shopping Straßen, wenn ich alles was man Herz begehrt problemlos im Netz zu jeder Uhrzeit bekommen kann. Mit dem Rückzug ist mir aufgefallen, dass ich alles hatte, bloß nicht im Überfluss.
Sollte es jedoch zu einem Konzert oder einer kulturellen Veranstaltung gehen ist es kein Problem sich in sein Auto zu setzen. Manchmal dauert dies nicht mal länger als wenn man von einer Großtstadt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von einem bis zum anderen Ende zu fahren.
Wir lieben es zu Reisen. Mein Mann und unsere gemeinsamen Kinder haben schon einige Orte in und außerhalb Europas kennengelernt. Doch eins fällt uns immer wieder auf: Wir sind schwer zu begeistern. Es ist eigentlich fast unmöglich, dass wir von einem Ort verzaubert sind. Lange Zeit dachte ich, dass es an mir liegt. Ich habe kein Auge für etwas oder bin einfach ein schwieriger Mensch. Denn wirklich jedesmal wenn mir von Bekannten und Freunden besondere Städte und Orte empfohlen wurden, war ich enttäuscht.
Irgendwann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wie soll mich etwas begeistern, wenn ich wirklich an einem der schönsten Orte wohne – In Goslar am Harz. Zugegeben, wir haben keine atemberaubenden Berge wie in den Alpen und auch kein glasklares türkises Meer wie in der Karibik, aber die wirklich bei weitem schönste Altstadt, die ich jemals gesehen habe. Aus dem Grund interessieren mich meist die Altstadt und die Innenstadt kaum, da es fast unmöglich ist mich zu beeindrucken. Leider wird man blind und sieht die Schönheit nicht mehr, da man mit ihr aufgewachsen ist. Die schönen Gassen, das besondere Fachwerk und der Zauber wird kaum wahrgenommen.
Ich fühle mich in keinem Punkt meines Lebens eingeschränkt in meinem Geburtsort zu leben. Es erfüllt mich sogar ein wenig mit Stolz, dass meine Kinder in der selben Stadt geboren sind wie ihre Eltern, ihre Großeltern und ihre Urgroßeltern. In seiner Heimat zu leben heißt nicht, dass man ein Kleingeist ist, welcher nichts von der Welt gesehen hat und zurückgezogen lebt. Es bedeutet für mich mit sich im Reinen zu sein, nicht auf der der ständigen Jagd nach etwas Neuen oder einem Bild von sich selbst zu sein. Sich eine neue Heimat zu kreieren, da man keinerlei Bezug zu seinem zu Hause hat. Heimat ist für mich nicht nur der Ort wo meine geliebten Menschen sind, sondern der Ort, an den ich den Großteil meines Lebens verbracht habe.
Ein wichtiger Punkt ist auch der Wandel unserer Städte. Wie soll die Zukunft aussehen? Sollen in etlichen Jahren alle Menschen nur noch in den fancy Städten leben, damit man ein jugendlicher und hipper Mensch ist? Wunderschönste Städte verfallen und es wird sich über die zu hohen Mieten in Wunschstädten echauffiert. Natürlich kann kein Meeresbiologe im Harz wohnen, aber ein Großteil der Jobs kann man auch in seiner Heimat ausüben, wenn man es denn will. Manchmal führt einen auch die Liebe weg aus der Heimat – denn meist findet man die Liebe seines Lebens nicht im Geburtsort. Dann gibt es meist einen Part, der leider sein zu Hause aufgeben muss. Für mich wäre es eine extreme Entscheidung gewesen – Wie es bei mir ausgegangen wäre, musste ich zum Glück niemals in Erfahrung bringen.
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