Kita Eingewöhnung eines High Need Kindes | von Piepmadame

14. August 2020

Eine der häufigsten Fragen, die mir immer wieder gestellt wird, ist: Wie hat bei euch die Eingewöhnung geklappt? Bindungsorientierte Elternschaft, Langzeitstillen, High Need, 24/7 – und dann der erste Einschnitt im so exklusiven gemeinsamen Leben von Mama und Kind.

Es war schlimm – aber es hatte ein Happy End. Lest selbst! Piepsi war 22 Monate alt. Ihre liebste Beschäftigung war zu diesem Zeitpunkt stillen. Und dass sie nicht mehr 24/7 in der Trage lebte, war noch kein halbes Jahr her. Sie war ein High Need Baby durch und durch. Deswegen haben wir uns für die Eingewöhnung ganze 5 Monate Zeit genommen.

Der erste Tag war grausam

Für sie. Für mich. Sie mochte Kinder damals noch gar nicht – und erst recht nicht in dieser „Massenveranstaltung“ Kindergarten. Zu viele fremde Menschen. Zu laut. Dazu meine Anspannung… Die Erzieherinnen, die sie ständig ermutigt haben doch mal mitzukommen, mitzumachen oder sich wenigstens nur einen Schritt von mir zu entfernen haben es auch nicht besser gemacht – und so hat es nicht lange gedauert (sehr wenige Minuten) und sie war in Tränen aufgelöst. Und ich dann auch. Das war wirklich nicht sehr „professionell“ von mir – und glaubt mir – ich wollte ganz bestimmt nicht weinen, schon gar nicht im Kindergarten und auch nicht vor meinem Kind…Aber was ich noch viel weniger wollte: Ich wollte ihr das nicht „antun“, sie nicht zwingen, sie nicht dort im Kindergarten lassen, wo es ihr augenscheinlich so überhaupt nicht gefällt. NIEMALS.

Der zweite Tag verlief ähnlich „gut“. Immerhin wusste ich jetzt, was mich erwartet, also welch Schwall an Gefühlen die Kindergarten Situation bei uns beiden auslöst. Somit hat (zumindest) mir geholfen, mich darauf einzustellen, wie uns das mitnimmt, wie sehr sie klammern wird und was von uns dort „verlangt“ wird. Ich habe also schon nicht mehr geweint. Piepsi aber sehr wohl und ein Lösen von mir war weiterhin unmöglich.

Der dritte und letzte gemeinsame Tag vor der ersten Trennung glich dann einem Supergau

Es war das alljährliche Drachenfest und alle hofften, dass Piepsi dort entspannter sein könnte, wenn wir draußen unterwegs sind, es dadurch weniger laut wird, die Kinder gemeinsam Drachen steigen lassen, es weniger beengt ist… Pustekuchen! Sie hat geschrien als ob sie abgestochen wird. Ich wusste nicht wieso – und ich wusste vor allem nicht wie ich sie beruhigen soll. Die Situation war extrem für mich: alle Elter- PLUS Erzieherinnenaugen waren auf uns gerichtet und meine Tochter hat sich noch nicht mal am Busen beruhigt. Viele, viele Minuten lang. Es kam was kommen musste. Man bat mich zum Gespräch: Sie würden es morgen mit der Trennung mal probieren, aber nach dem was sie die letzten Tage und vor allem jetzt beobachten durften, können sie sich nicht vorstellen, dass dieses Kind (schon) eingewöhnt werden kann. Wenn doch noch nicht mal die Mutter es beruhigt kriegt!

Dieses Gespräch war für mich eins der schlimmsten in meinem gesamten Leben überhaupt. Ich war überfordert, verzweifelt, hatte Angst – und durfte mir dann noch durch die Blume anhören, wie ich mein Kind nicht verzogen hätte. Hallo, ich stillte noch!! Solche Kinder können nicht eingewöhnt werden. Bitte nicht falsch auffassen: das Gespräch verlief eigentlich ganz sachlich – aber die Worte trafen mich so verletzlich wie ich in diesem Moment war mit einer ungeahnten Wucht… Der ganze Eingewöhnungsstress, dann Piepsis Totalausfall, das Gefühl keinen Plan B zu haben – und ja, auch das Unverständnis von Leuten, die mit Bindungsorientierung nix anzufangen wissen, waren einfach zu viel

Ich bin weinend nach Hause

Den ganzen Nachmittag googelte ich nach Tagesmüttern oder anderen alternativen Betreuungsmöglichkeiten, rechnete durch, ob ich nicht noch ein Jahr zuhause bleiben könnte… Egal was – ich wollte den nächsten Tag verhindern.Die erste (außerfamiliäre) Trennung.Das erste Mal überhaupt, dass ich sie WISSEND alleine weinend zurücklasse.Das erste Mal, dass sie nach mir rufen wird und ich komme nicht.Das erste Mal, wo ich sie im Stich lasse.Ich habe den ganzen Abend geweint. Ich wusste nicht WIE,… OB ich das tun kann!! Widerspricht es doch allem, wie ich sie in den letzten 22 Monaten, wie ich sie ihr GANZES LEBEN lang behandelt habe…Dann kam endlich mein Mann nach Hause und fand die Worte, die es letztendlich geschafft haben, dass ich es versuchen wollte.

„Du lässt sie nicht im Stich. Du gibst ihr DIE CHANCE es ohne dich zu schaffen. Du wirst nicht für immer an ihrer Seite sein können. So ist das Leben. Wir wissen doch gar nicht, wie sie sich macht. Verbau ihr das nicht durch deine Ängste. Alles was sie braucht, um das morgen zu schaffen, hast du ihr mitgegeben. Nimm ihr nicht diese Gelegenheit. Und selbst wenn es ein totaler Reinfall sein wird, dann werden es wenige Minuten in ihrem Leben gewesen sein, in denen du nicht da warst. Dass zerstört eure Bindung niemals. Versuch dich zu entspannen. Ich verspreche dir, sie schafft das – und falls nicht, muss sie nie wieder dort hin und wir finden eine andere Lösung.“

Tag 4. Der Tag der 1. Trennung

Nach der ersten gemeinsamen halben Stunde wurde ich weg geschickt. Ich saß im hinteren Raum des Kindergartens nervös hibbelnd mit einer anderen Mama. Nach knapp 10 Minuten ging die Tür auf: bitte kommen – aber nicht ich! Piepsi hält noch durch…!!!???!!Tick, tack und es sind 45 Minuten um. Sie hatte es vom Spielen zur Jause über den Morgenkreis geschafft. 45 Minuten. Ich fass es nicht. Diesen Start hat ja mal wohl niemand für möglich gehalten!!Ich war überwältigt und mega stolz. Und ich darf berichten, dass Piepsis grandioser Start in ihrer eigenen Kindergartenkarriere losgelöst von Mama genauso fortgesetzt wurde.

  • Tag 2 ohne mich: 1,5 Std.
  • Tag 3 ohne mich: sie wird schon mit raus genommen und ich soll sie am Spielplatz abholen.
  • Tag 4 ohne mich: sie bleibt schon 2,5 Std.
  • Tag 5 ohne mich: sie isst dort.

Und nach nicht mal 3 Wochen hat sie schon dort geschlafen (Übrigens auch „einfach so“ – das Kind hat vorher nie ohne Brust geschlafen! Ich habe nichts geübt oder gar trainiert und gegen jede Erwartung war es überhaupt kein Problem ein Stillkind mit den anderen Kindern schlafen zu legen!) – und wir waren fertig eingewöhnt. Ohne Rückschläge. (Bis meine Tochter, bis auf Ausnahmen natürlich wie nach dem Urlaub etc., gar nicht mehr geweint hat beim Abgeben, hat es ein paar Monate gedauert – Abschiedsschmerz darf sein! Wichtig ist nur, dass sie dabei begleitet wird, dass sich ihr jemand annimmt und sie tröstet.)Die Worte meines Mannes gaben mir den Rückhalt, den ich gebraucht habe um mein Vertrauen in mein Kind und dem, was ich ihr in der gemeinsamen Zeit mit auf den Weg gegeben habe, ins unendliche wachsen zu lassen.

Ich WUSSTE, dass sie das schafft. Ich wusste (und weiß bis heute), dass Tränen zu einem Abschied dazugehören dürfen. Diese Zuversicht in sie und das Annehmen aller Gefühle beim unserem Übergang in eine neue Lebensphase, haben auch ihr geholfen sich auf ihr neues Abenteuer einzulassen.

Das schlimmste ist durchstanden, wenn der Stolz die Angst überwiegt 

❤️ PS: Das wir den KiGa nach besten Wissen und Gewissen ausgewählt haben und den Erzieherinnen dort selbstverständlich vertrauen, ist hoffentlich logisch. Wenn diese Basis nicht gegeben ist und ihr nicht von ganzem Herzen überzeugt davon seid, dass das der richtige Ort für euer Kind ist – dann gebt es dort auch nicht hin 🙏🏼


Über Wiebke und Piepmadame

Wiebke hat das Leben vor über 17 Jahren von Deutschland nach Wien verschlagen. Hier hat sie studiert, geheiratet und vor fünf Jahren ihre Tochter bekommen. Das Mama werden und Mama sein hat ihre Interessen hin zu kindlicher Entwicklung, Erziehung und Bindungspsychologie gelenkt.

Kinder wirklich wahrzunehmen, zu begleiten und von ihnen zu lernen, wie wir zu besseren Menschen werden können stehen dabei im Mittelpunkt. Wiebke scheut sich nicht, kritische Themen anzusprechen und Althergebrachtes zu hinterfragen. Kontrovers, direkt, authentisch. Sich selbst und andere in Frage stellen.

Piepmadame ist kein Weichspüler Profil. Es geht nicht (nur) um schöne Bilder und sanfte Worte. Wiebke will aufrütteln, bewegen und etwas verändern. Sie bespricht sensible Themen, wie Langzeitstillen und Bindungsorientierte Elternschaft ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

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Email: piepmadame@gmail.com

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Ein Gedanke zu „Kita Eingewöhnung eines High Need Kindes | von Piepmadame“

  1. Jani Blume sagt:

    Danke, danke, danke! Dein Text beschreibt unser Leben fast 1 zu 1!
    Dein Text macht mir aber auch Mut und Hoffnung.
    Meine kleine HN Maus ist auch 22 Monate wenn die Eingewöhnung in knapp 2 Wochen startet und ich hab ebenfalls Angst und große Bedenken. Bei uns ist es nämlich haargenau so, wir stillen noch, aktuell mehr denn je und sie war noch nie länger als maximal 1 Stunde bei der Oma. Kinder mag sie allerdings und sie ist auch sehr aufgeschlossen diesen gegenüber. Ich denke, solange ich mit dabei bin, wird das kein Problem, aber wenn es dann darum geht, dass ich mal raus soll, wird es sicherlich problematisch. Da bereits meine große Tochter schon in der Einrichtung war und wir dort sehr zufrieden waren, habe ich doch etwas Hoffnung, dass sich das Personal ihr liebevoll annehmen wird.
    Dennoch bleiben Zweifel und Sorgen.
    Es sollten sich viel mehr Mütter mit High Need Kids zu Wort melden, damit man die Gesellschaft sensibilisieren kann. Man trifft noch auf viel zu viel Unverständnis und den „alten Werten“. Was ich mir schon alles anhören musste, ich hätte sie absichtlich so an mich gebunden, ich hätte sie total verwöhnt und verzogen. Sie tanzt mir jetzt schon auf der Nase herum, ich würde meine Ehe gefährden usw….zum Glück sieht mein Mann das wie ich und bringt auch unserer Tochter das nötige Verständnis entgegen. Dennoch hat man es mit einem HN Kind nicht gerade leicht, alles erscheint einem gefühlt schwieriger….Dennoch ist ein HN Kind eine Bereicherung, sie sind sehr authentisch und autonom und man kann viel von ihnen lernen, man wächst an und mit ihnen….

    Ich wünsche dir und deiner Familie alles Liebe, würde mich sehr freuen, mehr von dir zu lesen.

    Lg Jani mit Wirbelwind 21,5 Monate

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